
Bauwagen, Latzhose und ewiges Hippietum: Peter Lustig war die Urpflanze der „Atomkraft? Nein danke!“-BRD. Mit „Löwenzahn“ erklärte er einer ganzen Generation die Welt. Er starb jetzt mit 78 Jahren.
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Ich kann mir Melodien normalerweise schlecht merken, aber die von „Löwenzahn“ habe ich seit dreißig Jahren im Ohr. Es war in einer Zeit der Panini-Alben voller Rummenigge und Littbarski, der Gummifrösche mit dem weißen Bauch, die einem beschürzte Kioskverkäufer in Tütchen aus Butterbrotpapier packten, der Zeit der Schwimmbäder und ewigen Sommerferien. Der Himmel war dauerblau. Und wenn es mal regnete, ging ich traurig durch die Straßen, hob einen Regenwurm nach dem anderen auf und trug ihn hinter einen Jägerzaun, in die Sicherheit eines Reihenhausgartens.
Am Kühlschrank klebten „Atomkraft? Nein danke!“-Sticker, die damals noch nicht Sticker, sondern Aufkleber hießen. Nach der Schule radelten mein Bruder und ich zum Baggersee und setzten uns auf einen aufgetürmten Sandberg und sahen diesem gedrungenen Kran auf Schienen zu, der Laufkatze hieß. Und wenn wir sonntags aufwachten und die Eltern noch schliefen, rannten wir zum Fernseher und guckten „Die Sendung mit der Maus“ oder „Löwenzahn“, wo wir im Zweifel erfuhren, dass gedrungene Kräne auf Schienen Laufkatzen heißen. Es war, mit anderen Worten, die longue durée der BRD, die Zeit, in der Francis Fukuyama bald das Ende der Geschichte erspähte, eine Ära, die immerfort währen würde, eben die ausgehenden Achtziger- und frühen Neunzigerjahre, die längst zum roten Punkt in der Mitte von allen Nostalgie-Dartscheiben geworden sind, von der Generation Golf bis zur AfD.
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Von solchen komplizierten Konzepten und ambivalenten Mythen wussten wir nichts. Wir konnten kein Französisch, lasen keine Theorien, wir hatten Peter Lustig. Der Mann war die Onkel gewordene Zeitlosigkeit. Seine totale Friedensbewegtheit war doppelt, dreifach, vielfach codiert: die Jeanslatzhose, die Reinhard-Mey-Milde in der Stimme, der Bauwagen mit der Außentreppe aus Holzstühlen, die Winke-Ukulele und die rosa Dachterrasse.
„Hallo, ich bin der Peter“
Und natürlich der Löwenzahn, der im Vorspann aus dem Asphalt spross, mitten in der grauen Wirklichkeit bunte Zeichentrickblüten trieb, wie in den schönsten Disney-Filmen jener Tage: „Elliot, das Schmunzelmonster“ und „Falsches Spiel mit Roger Rabbit“. So verband der animierte Löwenzahn die lachende Seite des Kapitalismus, auf die kein nach achtundsechzig Geborener verzichten wollte, mit dem Ökozeitgeist. War der Löwenzahn doch eine auf kindgerechtes Maß geschrumpfte Sonnenblume, Symbol der jungen Grünen.
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Vorher, von 1978 bis 1980, hatte Lustig eine Sendung namens „Pusteblume“ moderiert. Nach Streitereien zwischen dem ZDF und der Produktionsfirma kam der Relaunch als „Löwenzahn“. Wahrscheinlich war es allen recht: Die Pusteblume war ja eine Art toter Löwenzahn; zwar stoben, wenn man pustete, die Samen lustig in alle Richtungen, aber es hatte doch etwas entschieden Unpazifistisches, als wäre man kein Panzer-, aber doch ein Pflanzengeneral und würde kleine Fallschirmjäger aussenden.
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In der ersten Folge – die man wie alle anderen aus allen 25 Staffeln bis 2005, als Lustig aus Gesundheitsgründen ausstieg, auf YouTube sehen kann – bezieht er den berühmten Bauwagen. Den Grund hat man vielleicht vergessen. Er mutet aus heutiger Sicht wie ein grandioser Gag an, wie die perfekte Selbstparodie, viel besser als Christian Tramitz’ ehrerbietige Gemeinheit, als er sich mal eine Latzhose anzog, vor einen Wohnwagen stellte, der bald anfangen würde zu brennen, und sagte: „Hallo, ich bin der Peter. Und das da, das ist ein Skinhead. Normalerweise wohnt der Skinhead im Fußballstadion. Klingt komisch, ist aber so.“ Dann erklärte Tramitz im Peter-Lustig-Outfit den Wirkmechanismus des Molotowcocktails.
Ein pragmatischer Deutscher, ein geborener Ingenieur
Das war nicht so schlecht. Peters Grund, überhaupt in den Bauwagen zu ziehen, klang allerdings noch viel komischer und original Achtzigerjahre: Kurz vor der ersten Folge ist eine neue Startbahn eröffnet worden, und Peter hält den Fluglärm nicht aus. Zwar stand der Bauwagen, in den er dann mithilfe seiner Freundin Trude und ihres roten Käfer Cabrios zieht, in Berlin, mal in Heiligensee, mal in Wannsee, mal in Kleinmachnow. Aber die Redakteure der ZDF-Sendung wohnten in Bärstadt im Taunus, von wo aus sie die Querelen um die Frankfurter Startbahn West, die damals halb Deutschland bewegten, aus nächster Nähe verfolgen konnten.
Peter Lustig blieb bei allem Hippietum, das ihn für ein Jahrzehnt in die Arme der Bhagwan-Bewegung trieb, pragmatischer Deutscher und geborener Ingenieur, der sich die notwendige Elektrizität für die „heute“-Nachrichten notfalls auf einem verkabelten Fahrrad selbst zusammenstrampelte. Das kann man in der dritten Sendung vom 11. Oktober 1981 verfolgen. Während er sich zur Kamera umdreht und triumphierend verkündet: „Na, was hab ich gesagt – ich mach mir meinen Strom alleine und bin nicht mehr auf meine Nachbarn angewiesen“, sagt die Nachrichtensprecherin: „Die Nato-Außenminister bekräftigten den Doppelbeschluss zur Raketenrüstung.“
Die staunenden Kinder haben damit wohl wenig anfangen können, aber unterschwellig suggerierte Peter Lustig ihnen absolute Sicherheit. Im Fall eines Atomkrieges wäre man nirgends besser aufgehoben als in Trudis Schrebergarten. Der Bauwagen hat was von einem postapokalyptischen Fallout-Bunker, designt von Friedensreich Hundertwasser.
Sein Weltbild war zutiefst mechanistisch
Zwar wohnt nebenan nicht der Russe, aber immerhin der Spießer. Helmut Krauss spielt Peter Lustigs Alter Ego, den Nachbarn Paschulke, einen dicken Heckentrimmer, der dauernd grillt und trinkt und keine Lust auf Sport hat. Er spielt ihn bis heute, wo längst Guido Hammesfahr alias Fritz Fuchs in den Bauwagen gezogen ist. Peter tadelt Paschulke gelegentlich mit dieser passiv-aggressiven Freundlichkeit, die Kinder von Achtundsechziger-Eltern bis heute zur Weißglut bringt, und nimmt ihn ansonsten als abschreckendes Beispiel und Ansporn, es besser zu machen.

Dass Peter Lustig privat gern Steaks aß, Rotwein trank und seit einer frühen Operation wegen Lungenkrebs am Stock ging, unterschlugen die Fernsehmacher. Solche Dialektik ist in der Sendung immer schon aufgehoben. Aller ausgestellter Öko-Betulichkeit zum Trotz beseelt den „Löwenzahn“-Kosmos ein fester Glaube an den technischen Fortschritt. Sein Weltbild ist zutiefst mechanistisch. Dem Menschen mit dem richtigen Mindset reichen ein kaputter Regenschirm und eine löchrige Badewanne, um die Zivilisation wieder aufzubauen. Peter Lustigs Lebensumstände mögen noch so spontihaft gewirkt haben; in Wahrheit war er der Antianarcho. Paschulke hätte er höchstens zugerufen: Autarkie ist machbar, Herr Nachbar!
Dass Privatleben dieses Daniel Düsentriebs des Schrebergartens muss man sich ähnlich malerisch vorstellen wie seine Fernsehexistenz. Die Latzhose zum Beispiel war tatsächlich das Beinkleid seiner Wahl. Zeitweilig führte er eine Ehe mit Elfie Donnelly, der vielleicht größten Legende einer jeden Kindheit in den Achtzigerjahren: Sie ist die Erfinderin und Autorin von Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg. Peter Lustig und Bibi Blocksberg waren verheiratet, unfassbar. Die beiden haben sogar einen Sohn.
„Jetzt kommt ja eh nichts mehr“
Gelernt hatte Lustig Rundfunktechnik, was ihm bei seinen Ingenieurskunststückchen im Bauwagen zugute kam. Als John F. Kennedy am Schöneberger Rathaus seine „Ich bin ein Berliner“-Rede hielt, mischte Lustig den Ton. Der Legende nach sollen sie ihn beim SFB irgendwann vor die Kamera gesetzt haben, zu Probeaufnahmen, worauf Lustig ein Ei an seiner Glatze zerschlug und rief: „Fernsehen ist scheiße!“ Eine Kindersendung war die logische Folge. Übrigens eine, in der praktisch keine Kinder vorkamen, auch so ein Kuriosum dieser kuriosen Veranstaltung. Sogar Kinderhass sagte man Lustig nach, was übertrieben scheint.
Jedenfalls lag ihm die Eigenbrötelei auch im wahren Leben. Von seiner dritten Frau soll er sich dann und wann einen Kochtopf für ein Experiment ausgeborgt haben. Das war in seinem Haus in Nordfriesland. Dort ist Peter Lustig am Dienstag im Alter von 78 Jahren gestorben. Letzte Worte sind nicht überliefert. Hunderte „Löwenzahn“-Folgen schloss er so: „Jetzt kommt ja eh nichts mehr, also abschalten.“